Digitale Transformation muss den Ausgangszustand erfassen, einen Zielzustand benennen und die Mittel dann priorisiert einsetzen. Computerlinguistik hilft bei der Verschlagwortung historischer Schulbuchtexte und die Mensch-zentrierte Künstliche Intelligenz erforscht, wie Nutzer Webseiten auslesen und auffassen.

Ernesto William De Luca ist ein mobiler Mann. Aus Turin kommend wechselte er schon im Studium zwischen Italien und Deutschland, weil es das Fach Computerlinguistik in Italien noch nicht gab. Bielefeld, Trient, Berlin sowie eine Professur in Potsdam und in Rom waren seine Stationen. Dann wurde er in gemeinsamer Berufung Abteilungsleiter am Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut in Braunschweig und zugleich Professor für Digital Humanities an der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg. Dabei hat er seinen Lebensmittelpunkt schon seit 2003 in der Ottostadt. Hier lebt er gern und pendelt nun Dienstag bis Donnerstag nach Braunschweig. Als er vor 20 Jahren von Bielefeld „in den Osten zog“, waren seine Freunde schon verwundert. Doch De Luca findet, dass Magdeburg und die Otto-von-Guericke-Universität sich seither toll weiterentwickelten.

Alle Schulbücher der Welt sind Sammlungsziel in Braunschweig. Nun gilt es, Tools zu entwickeln, Bibliotheksbestände jenseits eines Katalogs auswertbar zu machen. Schulbücher sind friedensrelevant, da sie in Fächern wie Geschichte, Erd- oder Sozialkunde Bilder und Wertungen anderer Nationen prägen: „Wie entwickelten sich die Ukraine-Darstellungen in Schulbüchern?“, lautet eine aktuelle Frage, die nun mit digitaler Hilfe erforscht wird.

Über 1 Million Schulbuch-Seiten sind bisher digitalisiert. Die Scan-Prozesse laufen schon semi-automatisiert. Auch digitale Spracherkennung muss für präzise Forschungsfragen, etwa zur Geschichte der Islamdarstellung in Schulbüchern, noch händisch nachgesteuert werden. Entscheidend bei digitaler Transformation, sagt De Luca, sei die Metadatenvergabe, die bessere Beschreibung der Daten sowohl für Computer wie für menschliche Nutzer: „Mich reizt stets die Ebene oberhalb der bloßen Digitalisierung: Was kann der Nutzer letztlich damit machen?“ Als Digitalexperte des weltweit bedeutenden Schulbuch-Forschungsinstituts kann er sich dem ganz praktisch widmen. Zudem lehrt er Magdeburger Studierende, wie man mit digitalen Werkzeugen alte Texte neu erforschen kann.

Digital Humanities heißt diese Wachstumsbranche der Geistes- und Kulturwissenschaften. Die Grundfragen lauten: „Wie speichert man die Daten, und wie stellt man sie den Nutzer*innen zur Verfügung?“ Sowohl Maschinen wie Menschen sollen möglichst reibungslosen Zugriff auf Digitalisate haben und daraus neue Erkenntnisse gewinnen. Sein linguistisches Ursprungsinteresse an der Lexikographie setzt er nun in Werkzeuge um, die automatisch bestimmte Inhalte und Begriffsfelder in digitalisierten Textwelten auffinden: „Der reine Scanprozess von Bibliothekstexten wird von Dienstleistern erledigt. Die semantische Erschließung und die Metadaten hinzuzufügen, das ist die eigentliche Herausforderung.“

Zudem forscht er mittels Eyetracking (Augenbewegungs-Aufzeichnung) zur Nutzerfreundlichkeit: „Was schauen Website-Leser an, wie interagieren sie mit der angebotenen Darstellung je nach deren Gestaltung? Etwa: Bilder rechts, Metadaten links auf dem Schirm.“ User-Engineering und optimierte User Experience werden schon lange von Amazon und Co. entwickelt und kommerziell eingesetzt – können jedoch auch für Forscher der Humanities wertvoll gemacht werden.

Sicher ist sich der mehrsprachige Forscher: „Bücher werden nicht aussterben. Buch und E-Book werden je nach Nutzertyp und Nutzungsart künftig nebeneinander genutzt werden. Hybrider Mediennutzung gehört die Zukunft.“

De Luca ist gespannt, wie sich die Stadt mit Intel weiterentwickeln wird. Freilich sei Intel mehr Elektrotechnik, eben Produktion der Maschinenebene und kaum involviert in die von ihm betriebene Computer-Mensch-Forschung. „Problem wird sein, ob Intel hier nur produzieren oder auch hier in die Forschung gehen wird. Die Otto-von-Guericke-Universität müsste wohl ihre Elektrotechnik-Fakultät ausbauen. Aber bis 2027 sollte man das wohl hinkriegen.“ So wie anderes hinbekommen wurde: „Magdeburg ist noch nicht perfekt, aber schon weiter gekommen in digitaler Stadtverwaltung. Wenn man eine Meldebescheinigung benötigt, klappt das schnell online. Schlange stehen in Ämtern ist seltener nötig.“

Einen Wunsch hat der Computerlinguist mit seiner Arbeit zwischen den technischen und sprachwissenschaftlichen Fächern: „Möglichst viel Austausch im interdisziplinären Bereich; vertiefte Kooperation, um gemeinsam digitale Transformationsprozesse bestmöglich ans Ziel zu bringen.“

Computerlinguistik, Schulbücher und Künstliche Intelligenz


Prof. Dr.-Ing. Ernesto William De Luca

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