Ein neuartiges System „Made in Magdeburg“ versetzt Wissenschaftler in die Lage, einzelne Photonen bildlich festzuhalten.

Bilder werden heute massenhaft zu jeder Zeit an (fast) jedem Ort gemacht. Und das in Topqualität, auch dank immer besserer Handykameras. Doch selbst die ausgereiftesten Spezialkameras und Mikroskope stoßen an ihre Grenzen, wenn es darum geht, unter minimal-invasiven Bedingungen lebende Zellen aufzunehmen.

Ein neuartiges Kamerasystem „Made in Magdeburg“, ebenfalls nicht so viel größer als ein Handy, bietet etwa Biologen und Medizinern ganz neue Möglichkeiten. Im Speziallabor für Elektronen- und Laserscanmikroskopie hat das Team um Dr. Werner Zuschratter, Dr. Yury Prokazov und Evgeny Turbin am Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg (LIN) in langjähriger Forschung eine ultraempfindliche Forschungskamera mit besonders hoher zeitlicher Auflösung entwickelt.

„Unsere Kamera unterscheidet sich grundsätzlich von allen anderen Kamerasystemen“, sagt Dr. Werner Zuschratter: „Sie arbeitet fast ohne Licht, ist also extrem empfindlich und wir nehmen einzelne Photonen auf.“ Das sei für lebende Zellen und für die Beobachtung von Geweben „extrem nützlich“, weil man sie auf diese Weise sehr lange beobachten könne, ohne die Zellen zu schädigen. „Denn es gibt eine kritische Schwelle von Licht, was Zellen und Gewebe tolerieren. Unsere Kamera ist das einzige System, das deutlich unterhalb dieser Schwelle arbeitet“, erklärt der Wissenschaftler.

Die LINCam (= Leibniz-Institut für Neurobiologie Camera) nimmt gar keine Bilder auf. „Sie ist ein Quantendetektor mit etwa einer Million Aufnahmen pro Sekunde. Erfasst wird immer nur jeweils ein einziges Lichtteilchen. Die Kamera misst das Eintreffen dieser einzelnen Photonen mit einer Zeitauflösung von 50 Pikosekunden“, erklärt Zuschratter. Jedes einzelne Ereignis werde so für sich aufgenommen und in einer langen Liste zusammen mit den Ortskoordinaten und der Flugzeit registriert. „Aus diesen Daten“, so der Forscher, „können wir hinterher die Bilder rekonstruieren, d.h. Sie können damit ein brillantes Bild generieren oder funktionelle Informationen aus den Flugzeitunterschieden gewinnen.“

Väter dieser Idee sind Dr. Yury Prokazov und Evgeny Turbin. Seit 2005 bzw. 2010 arbeiten die beiden aus Russland stammenden Wissenschaftler in Magdeburg am Leibniz-Institut. Der Grundgedanke existiere bereits seit rund 30 Jahren. Durch mehrere Forschungsprojekte des Bundesministeriums für Forschung und Bildung (BMBF) „wurde aus dieser Idee zunächst ein Labormuster einer zeitaufgelösten, ultraempfindlichen Forschungskamera. Schließlich wurde die Kamera vom Prototypen zum fertigen Produkt entwickelt“, beschreibt der Leiter des Speziallabors die Genese der LINCam.

Genutzt werde die Kamera derzeit vor allem, um zu schauen, wie Moleküle innerhalb von Synapsen im Nerven- und Immunsystem miteinander interagieren, erklärt der Neurobiologe Zuschratter weiter. Aber auch in anderen Bereichen gebe es zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten: In Forschungsprojekten zusammen mit der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg soll herausgefunden werden, ob bzw. inwieweit die Kamera geeignet ist, Tumorgewebe im Frühstadium zu erkennen. Ferner sehen wir Einsatzmöglichkeiten bei der Qualitätskontrolle in der Halbleiterindustrie sowie in der Quantenoptik und in der Ramanspektroskopie. „Ich bin überrascht, dass insbesondere Quantenphysiker Interesse an unserer patentierten Erfindung haben“, so Zuschratter.

Die LINCam wurde 2013 und 2017 mit dem Hugo-Junkers Preis für das innovativste Projekt der Grundlagen- bzw. angewandten Forschung ausgezeichnet. Und nicht nur das: In den vergangenen zwei Jahren wurde mit Fördermitteln des Bundeswirtschaftsministeriums ein eigenes Start-Up-Unternehmen aus dem Leibniz-Institut heraus gegründet: Die Photonscore GmbH produziert inzwischen die Forschungskamera und vermarktet diese weltweit.
Zu den Kunden zählen neben Universitäten und Forschungsinstituten in Deutschland und Europa auch die Universität in Sydney. In den USA ist noch dieses Jahr eine Werbekampagne mit einer Demonstrationstour geplant.

Zuletzt war die LINCam sogar für den Deutschen Innovationspreis nominiert, landete unter den Top 3. Dennoch sei sie ein Nischenprodukt. Wissenschaftler Turbin zieht allerdings einen Vergleich: Auch in die Entwicklung der Mikrowelle sei ein Vermögen geflossen. Die ersten marktreifen Geräte seien sehr teuer gewesen. Heute könne sich praktisch jeder einen Mikrowellenherd leisten. Das Kamerasystem „Made in Magdeburg“ könne zum Beispiel auch für die Abstandsmessung und damit für Sensoren von selbstfahrenden Autos genutzt werden – ein großer Trend der Zukunft. Derzeit sei das LINCam-System im Vergleich mit anderen Lösungen noch zu teuer. Aber, sagt Turbin schmunzelnd, „wir forschen und entwickeln sie weiter, mal sehen, was daraus noch wird“.

„LINCam - Quantendetektor aus Magdeburg“


Dr. Werner Zuschratter, Dr. Yury Prokazov und Evgeny Turbin Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg