Knut Bernsen: Rückblickend war die Wende für den Handel zunächst die große Chance, hierzulande wieder privatwirtschaftliche Einzelhandels-Strukturen aufzubauen. Die folgenden Jahre waren von einschneidenden Entscheidungen und wirtschaftlichen Entwicklungen geprägt. Vor allem die Jahre 2003 bis 2010 Jahre waren schwierig für den Handel. Statt Wachstum und Aufschwung herrschte teilweise eher Krisenstimmung. Und wenn die gesamtgesellschaftliche Lage schwierig ist, betrifft das immer auch den Handel. Als es wieder aufwärts ging, setzten auch wieder sehr intensive Transformationen des Handels ein.

In den ersten Jahren nach der Wende war die „grüne Wiese“ ein wichtiger Handelsort…

Das stimmt. Oft aus den einfachen Gründen, schnell eine Baugenehmigung zu erhalten und schnell den Bedarf decken zu können. Die grüne Wiese war zu einem Zeitpunkt wichtig, wo es eine große Erleichterung für die Menschen darstellte, alles unter einem Dach einkaufen und erledigen zu können. Später wurde wieder stärker bewusst, dass es nicht optimal ist, Kundenströme nach außen zu lenken. Es gab es einen Rücksprung, und die Einkaufscentren wurden direkt in den Städten errichtet, was wiederum zu einer starken Flächenausdehnung führte. Magdeburg hatte hierbei im Vergleich mit anderen Städten allerdings eine Sonderstellung. Schließlich waren nicht alle Innenstädte im Zweiten Weltkrieg so stark zerstört worden. Da war es nach der Wende schwierig, eine Flaniermeile mit alter Bausubstanz zu errichten. Entstanden sind dann große Centren, und diese wurden zur Flaniermeile. Magdeburg hat in der Nachwendezeit jedoch auch beim kleineren Einzelhandel aufgeholt und insgesamt schnell auch individuelle Einkaufsmöglichkeiten geschaffen.

Kurz nach Wende ging es vielen Menschen vor allem ums Einkaufen. Heute schafft man sich auch in Magdeburg noch häufig einen Rahmen ums Shopping herum. Erleben Sie das auch so?

Definitiv, ja. Das Thema Einkaufserlebnis hatte immer schon eine große Bedeutung. Dieses wird sehr stark vom Handel geprägt – aber nicht nur. Es muss immer ein Zusammenspiel geben von Gastronomie, Kultur und Stadtgestaltung. Wie das gestaltet wird, ist für die Zukunft des stationären Handels immens wichtig.

Warum?

Wir müssen die Erlebnisqualität der Stadt stärken. Um eben genau diesen gewünschten Rahmen zum Shopping bieten zu können. Dazu gehört das Gesamt-Paket zu bieten – eine funktionierende Hochkultur, die Gastronomie einschließlich kleiner Kneipen die Uni-Szene, Straßenfeste und auch die off Kultur. Einfach eine bunte Mischung. Es muss ein Grundrauschen entstehen. Gibt es nur ein zwei große Events, fokussieren sich die Menschen nur darauf. Wer Erlebnisqualität bieten möchte, muss dauerhaft etwas anbieten.

Wie beurteilen Sie diesbezüglich die Lage in Magdeburg?

Magdeburg hat sich in dieser Hinsicht sehr positiv entwickelt. Das macht die Stadt attraktiv. Hier gibt es vielleicht keine historische Bausubstanz im großen Umfang, aber das wird hier durch andere Erlebnisqualitäten ausgeglichen. Aufenthaltsqualität in der Stadt muss man in Zukunft sehr breit denken. Und der Klimawandel gehört dazu. Genau wie die Digitalisierung.

Beschreiben Sie bitte, worauf es ankommt, wenn es um Aufenthaltsqualität geht – heute und künftig!

Ich kann nur Beispiele nennen, es ist ein vielfältiger Mix. Wichtig ist unter anderem, städtische Einrichtungen nicht nur in die Außenbezirke zu verlegen. Das würde nicht dazu beitragen, die Frequenz für das Zentrum zu erhöhen. Auch Dienstleister, Ärztehäuser, Rechtsanwälte mit Adressen in der Innenstadt sorgen dafür, dass sich Menschen dorthin bewegen. Und dann gibt es da noch die Dimension, die überlegt, was im Zentrum als dritter Raum angeboten werden kann. Einkaufen vor Ort ist nicht mehr nur eine reine Bedarfsdeckung, sondern ist zu einem Teil der Freizeitgestaltung geworden. Der Hintergrund ist einfach: Über die digitalen Möglichkeiten sind die Verfügbarkeiten für das reine Einkaufen konkurrenzlos. Aber das Erleben funktioniert nur, wenn man sein Wohnzimmer verlässt und in die Stadt geht. Die Lichterwelt in Magdeburg war da eine sehr gute Idee zum richtigen Zeitpunkt, wo es so etwas bisher selten gab. Man braucht solche Hotspots, wo auch Fotos gemacht werden können. Wobei ich das übrigens durchaus nicht nur auf die Innenstadt reduzieren möchte. Es gibt auch in den Stadtteilen zauberhafte Ecken mit Altbausubtanz, Kneipen und Cafés.

Wird Magdeburg aus Ihrer Sicht diesen Weg weiter gehen?

Auf jeden Fall. Allein durch große Ansiedlungen im Wirtschaftsbereich wird viel passieren. Das ist eine Chance, die nicht jede Stadt in Deutschland hat und mit der sich einiges bewegen wird.
Sie kennen Magdeburg schon sehr lange. Wie hat sich aus Ihrer Sicht das Gesicht der Stadt verändert?
Die Stadt hat sich verändert. Allein der Breite Weg hat eine ganz andere Aufenthaltsqualität bekommen. Dort zeigt sich, wie wichtig eine gesunde Mischung ist. Wir brauchen Filialen genauso wie die kleinen, feinen Läden, wo es Unikate, Handgemachtes oder einfach etwas gibt, das nicht an vielen Standorten zu bekommen ist.

Zurück zum Einzelhandel: Wie ist es hierbei um Magdeburgs Innenstadt bestellt?

Um sich ein Urteil darüber zu bilden, ist der Leerstand ein guter Indikator. Vor allem, die Betrachtung, ob sich Cluster bilden, die den umliegenden Geschäften nicht guttun. Das ist in Magdeburg übersichtlich. Die Stadt steht vergleichsweise gut da. Intel hat eine vielbeachtete Aufmerksamkeit auf Magdeburg gerichtet. Das wird für einen positiven Schub sorgen.

Wie wird sich der stationäre Einzelhandel generell entwickeln?

Schon jetzt ist es schwer zu sagen, wie der Status ist. Viele Geschäfte machen ihre Umsätze inzwischen zu einem gewissen Anteil online – jedenfalls längst nicht mehr ausschließlich stationär. Umso wichtiger ist es, dass der stationäre Bereich eine hohe Qualität hat, dass er sich vernetzt. Und dass die Stadt attraktiv ist. Das ist ein dauerhafter Prozess. Genau, wie der Handel weiter daran arbeitet, muss auch die Stadt weiter ihre Hausaufgaben machen. Digitalisierung bleibt ein wichtiges Thema. Denn sie ist nicht nur der Online-Shop, sondern sorgt dafür, dass gesamte Geschäftsprozesse transformiert werden. Nichtsdestotrotz: Der Druck wird auch im Online-Handel nicht weniger. Nicht zu vergessen: Es gibt nach wie vor sehr viele Menschen, die ihren Fokus stark auf die Kosten ausrichten. Es sind wie gesagt, viele Bausteine, die dafür sorgen, dass wir in den Städten mit Aufenthaltsqualität punkten können. Dazu gehören so einfache Dinge wie öffentliche Toiletten oder das Vorhandensein von Bäumen. Unser Blickwinkel muss dabei noch breiter werden.

Was könnte noch verbessert werden, um den stationären Einzelhandel in Magdeburg zu stärken?

Wir sollten unbedingt die Erreichbarkeit auch mit dem Auto hochhalten, uns Gedanken darüber machen, wie wir die Umgebung der Handelsplätze schöner gestalten können. Viele Details sollten geklärt oder weiter optimiert werden. Überlegungen zu verkehrsberuhigten Plätzen gehören dazu, auch die weitere finanzielle Ausstattung des Citymanagements und die Festigung kommunaler Einrichtungen. Das Zusammenspiel von Handel, Gastronomie, Kultur und Stadt sollte weiter gefördert und Allianzen gebildet werden. Dafür kann man auch mal schauen, was bei anderen gut funktioniert hat.

Magdeburg hat steigende Touristen-Zahlen. Wie wichtig ist das für die Stadt?

Das ist ein wichtiger Faktor. Er schafft Wahrnehmung und zeigt, dass die Stadt eine gute Qualität hat. Und natürlich geben Touristen ja auch ein bisschen Geld aus, gehen essen, kaufen ein, nutzen Dienstleistungen. Wir müssen nun dafür sorgen, dass sie länger als einen Tag bleiben oder wiederkommen.

Zum Schluss die globale Frage nach der Zukunft …

Die Menschen werden weiterhin im Internet bestellen und sich ihre Sachen bequem liefern lassen. Doch schon jetzt ist es bei den Jüngeren zu bemerken: Sie möchten eben auch in die Stadt fahren, sich sehen, gesehen werden und gemeinsam etwas erleben. Das häufig prognostizierte Ende des stationären Einzelhandels wird nicht eintreten. Er wird sich alles weiter digitalisieren. Es wird jedoch auch weiterhin die Klientel geben, die es erwartet, dass sie zwar bestellen, aber eben auch vor Ort ausprobieren und anschauen kann. Ich denke, dass sich der Einzelhandel genau darauf einstellen muss – darauf, dass die Kundschaft in den Laden kommt, aber eben auch schnelle Antworten auf Verfügbarkeit haben möchte.

Foto: (c) Stadtmarketing Magdeburg

„Wir müssen die Erlebnisqualität der Stadt stärken“
 
Beim Thema Transformation kommen wir nicht umhin darauf zu schauen, was sich nach der Wende verändert hat. Im Bereich des Handels war das eine General-Transformation – oder?


Knut Bernsen, Landesgeschäftsführer des Handelsverbandes Sachsen-Anhalt

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