Es war ein Mammut-Projekt. Und es hat gezeigt, dass sich gemeinsames Handeln auszahlen kann – wenn man einen langen Atem hat. Im Jahr 1991 beschlossen die Wohnungsbaugenossenschaft Otto von Guericke eG (WBG), die kommunale Wohnungsbaugesellschaft Magdeburg (WOBAU) und die MWG-Wohnungsgenossenschaft eG Magdeburg (MWG), gemeinsame Sache zu machen. Die Mission der drei lokalen Wohnungsbau-Akteure war keine geringere, als der Magdeburger Innenstadt ein neues Gesicht zu verpassen. So etwas hatte es zuvor noch nie gegeben, und noch heute sind vergleichbare Zusammenarbeiten im Land schwer zu finden. Was die meisten Magdeburgerinnen und Magdeburger heute als Glücksfall beschreiben, hat einen langen, steinigen Weg genommen. Die Neugestaltung der Meile zwischen Hundertwasserhaus und Hasselbachplatz war mehr als nur ein Lückenschluss, darin sind sich alle Akteurinnen und Akteure von einst einig. Entstanden ist ein neues Quartier.
Das Domviertel steht gerade für viele alteingesessene Einwohnerinnen und Einwohner wie kaum ein anderes Projekt beispielhaft für die städtebauliche Transformation Magdeburgs. Sie loben, zeigen, nutzen es. In den sozialen Netzwerken wird es hervorgehoben und bekommt Zuspruch von Gästen. Dass es einmal so kommen wird, daran haben die beiden Genossenschaften und die Wohnungsbaugesellschaft immer geglaubt. Einfach war das indes nicht. Es ist damals Willi Polte, der den Stein für das Domquartier überhaupt erst ins Rollen bringt. Der rührige Oberbürgermeister der ersten Nachwende-Jahre kommt auf die Idee WBG, MWG und WOBAU an einen Tisch zu holen. Ihnen möchte er nahelegen, die Innenstadt umzukrempeln. Keine privaten Investoren, keine Glücksritter, keine unseriösen Unternehmen sollen sich auf dem „Filetstück“ in Magdeburgs City verwirklichen. Es sollen Magdeburger selbst sein, die hier etwas wachsen lassen. „Das“, sagt Karin Grasse vom WBG-Vorstand, „war im Nachhinein eine geniale Idee.“ Was dann beginnt, ist ein Marathon, bei dem alle Beteiligten einen langen Atem brauchen.
Ein erster Wettbewerb kurz nach der Wende im Jahr 1991 versandet. Im Jahr 2009 nimmt das Vorhaben wieder Fahrt auf mit ersten strategischen Überlegungen, das komplette Quartier neuzugestalten, mit Mut zum Abriss, Umbau und zu Voll-Sanierung. Die Stadt beauftragt eine Studie, in deren Ergebnis ein neues „Verbindungsglied“ zwischen Hasselbachplatz und Stadtzentrum auf dem Papier entsteht, das frei gestaltet, vielseitig genutzt und mehr Urbanität bieten soll.
Das Land Sachsen-Anhalt, die Landeshauptstadt Magdeburg und die drei größten Wohnungsbau-Akteure in Magdeburg ziehen die Fäden. Die Schlagworte vieler Jahre sind: Fördermittel, Antragstellung, Grundstückskauf, Ideenwettbewerb, Positionspapier, B-Plan, Fassadenworkshop. Zwischendrin finden Archäologen auf dem Areal eine Fliegerbombe, später treten noch alte Telekom-Schächte zutage. „Es war alles dabei, was man sich für die Vorbereitungen eines riesigen Städtebau-Projektes nur vorstellen kann“, erinnert sich MWG-Vorstand Thomas Fischbeck. Was immer funktioniert: WBG, MWG und WOBAU arbeiten im Team, ziehen an einem Strang. „Sonst hätten wir das nicht geschafft“, weiß WOBAU-Geschäftsführer Peter Lackner.
Am 21. April 2017 ist es so weit: Nach sieben Jahren Planungszeit stechen Landesbauminister Thomas Webel, Oberbürgermeister Lutz Trümper sowie die Vorstände und Geschäftsführer der drei Wohnungsunternehmen mit dem Spaten zu. Baustart. Es kann losgehen. Vier Jahre werden die Pläne umgesetzt, die so viel versprechen: moderne Häuser mit hellen Wohnungen, Balkonen, Erkern, Dachterrassen, begrünte Innenhöfe mit Obststreuwiesen, Spielplätze für jung und alt, Erholungsflächen, kreativ gestaltete Fassaden, Flächen für Nahversorger, Räume für Gastronomen und Parkräume mit E-Ladesäulen. Es soll Seniorenbetreuung im Quartier geben, Lichthöfe, Platz für Bienen und Obstbäume. Doch bis sich Magdeburgs Innenstadt-Gesicht so zeigt, haben die drei Wohnungsbauunternehmen noch einige Herausforderungen zu bewältigen. Eine besteht darin, die Magdeburgerinnen und Magdeburger mitzunehmen. Nicht alle sind begeistert davon, dass sich Gewohntes verändert, dass über Jahre eine riesige Baustelle im Herzen der Stadt existiert. Und nicht alle finden es gut, dass vor dem Neubau viel abgerissen wird. „Wir wurden von vielen Seiten mit Argusaugen beobachtet“, erinnert sich WBG-Vorstand Oliver Hornemann. Heiß diskutiert wird unter anderem die Fällung einer 120 Jahre alten Ulme. Die Wohnungsbaugenossenschaft glättet die Wogen, indem sie aus den Reisern neue Bäume ziehen lässt, die sowohl im Domquartier als auch in Magdeburg verteilt neue Wurzeln schlagen.
Vieles lässt sich nicht vorhersehen. Blindgänger im Keller, Veränderungsvorschläge eines Gestaltungsbeirates, umgewandelte Pläne, komplizierter Bauuntergrund – es geht turbulent zu auf der prominenten Baustelle. Viel Geld fließt in das neue Stadtquartier. „Nie und nimmer hätte das einer allein stemmen können“, ist sich MWG-Vorstand Thomas Fischbeck sicher. „Es konnte rückblickend nur durch die gesellschaftsübergreifende Steuerung, dem Willen und Enthusiasmus dieser besonderen Kooperation gelingen.“
Immer wieder sitzen sie damals an einem Tisch, stimmen sich ab. Was läuft? Was nicht? Was könnt ihr uns raten? Was nicht? Auf engstem Raum agieren WBG, MWG und WOBAU. Arbeiter zahlreicher Gewerke arbeiten parallel. Die Kräne drehen sich, die Bagger graben. Die WBG ruft die „Bauzaungalerie“ ins Leben und landet damit einen Erfolg. Kunstschaffende zeigen entlang der Baustelle ihre Werke, die später ersteigert werden können.
Hinter dem Zaun holen die drei Unternehmen zum „großen Wurf“ aus, wie MWG-Vorstand Dr. Andreas Hartung rückblickend sagt. „Wir haben uns getraut, alles wegzureißen und neu zu bauen. Da wurde alles, wie wir es kannten, über den Haufen geworfen. Das Thema Transformation wirkt wie ein Brennglas auf den Standort am Breiten Weg.“ Auch WOBAU-Chef Peter Lackner hebt die Gemeinschaftsleistung hervor. „Wir haben als lokale Player eine Art Stadtreparatur vollzogen. Dass wir dieses Areal so entwickelt haben, darauf können wir sehr stolz sein.“ Besonders interessant sei, die Vielfalt der Architektur und Gestaltung: „Jedes Haus hat seinen eigenen Stil, und es harmoniert trotzdem.“ Mit dem Blick von heute ist der WOBAU-Geschäftsführer froh darüber, dass Wert darauf gelegt wurde, „mit der Öffnung der Leibnizstraße die alte Stadt-Struktur zu schaffen“. „Jetzt haben wir diese typischen Stadtstrukturen. Wenn man unten am Dom steht, bekommt man weite Blickachsen. Die gab es früher nicht.“ Der WOBAU-Chef erlebt damals wie alle, die heute auf das Gemeinschaftswerk zurückblicken, alles live mit. Die kommunale Gesellschaft löst in der Bauzeit große Neugier mit dem Ausbau der alten Staatsbank mit ihren Tresor-Kellerräumen aus.
Als schließlich die letzte Hülle auf der Groß-Baustelle fällt, haben sich die Magdeburgerinnen und Magdeburger bereits an das neue Quartier gewöhnt. Mehr noch: Sie loben öffentlich und nutzen das Domviertel. „Es rührt mich heute noch an, dass wir etwas für die Stadt getan haben und dass alles vermietet ist“, sagt MWG-Vorstand Thomas Fischbeck. Mehr noch: Das Interesse bei beiden Genossenschaften und Gesellschaft ist ungebrochen. „Wir könnten viele Wohnungen doppelt und dreifach vermieten“, weiß WBG-Vorstand Oliver Hornemann und lobt zugleich, „wie gut die gewerbliche Untersetzung im Quartier gelungen“ sei. Von Verwaltung über Unternehmen bis zur Krankenkasse, das Domviertel wird gern als neue Adresse angenommen. Dazu kommen Cafés und Restaurants. „Das sind Kumulationspunkte mit Aufenthaltsqualität“, schwärmt Oliver Hornemann.
Diese wiederum verstärken das „Quartier-Gefühl“, weiß WBG-Vorständin Karin Grasse. „Viele Menschen entscheiden sich, mitten in die Stadt zu ziehen. Sie nutzen die Besonderheit des Quartiers, wo sich Menschen rundum versorgen können und die städtische Infrastruktur nutzen.“ Das beobachtet auch Dr. Andreas Hartung: „Die Menschen entscheiden sich heutzutage eher für das urbane Zentrum als für den Speckgürtel.“ Auch darum sei der Aufbau des Domviertels und die damit verbundene Belebung des südlichen Abschnitts des Breiten Weges bedeutend gewesen. Der MWG-Vorstand sagt allerdings auch: „Wenn wir über Stadtentwicklung sprechen, ist das nicht nur auf die Innenstadt beschränkt. Das ist auch die Entwicklung in den Stadtteilen.“ Er sieht dies als einen „dauerhaften Prozess“ und sagt: „Wir erhalten Stadtteile und machen sie durch Um- und Neubau lebenswert für nächste Generationen.“ Ähnlich sieht es Peter Lackner. Der WOBAU-Chef betont, „dass die Stadtplanung immer weiter geht“. Seine Gesellschaft entwickle weitere Quartiere wie den Prämonstratenserberg in der Altstadt oder gestalte das Zentrum weiter, ein Beispiel dafür sei die neue Nutzung des Parkplatzes hinter der Leiterstraße.
Eine ähnlich große Herausforderung – wenn auch ganz anderer Art – ist für alle drei Wohnungsunternehmen die Gestaltung der Energiewende und der Umgang mit dem Klimawandel. WBG-Vorständin Karin Grasse sagt: „Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir unsere Objekte in der Zukunft versorgen.“ Mindestens genauso wichtig wie die Gestaltung des städtischen Bildes sei jetzt, was in und mit den Häusern geschehe. Die energetische Sanierung der Objekte und die Versorgung mit Fernwärme zur CO2 Minderung nennt sie als zwei wichtige Stichworte. Fast unisono sprechen die Vertreter der Wohnungsbau-Akteure darüber, dass „Bestände ertüchtigt“, „fit gemacht“, „an neue Anforderungen angepasst“ werden müssten.
Und abseits vom Baugeschehen? Wie hat sich Magdeburg in den Jahren nach der Wende aus Sicht der Genossenschaften und der kommunalen Gesellschaft verändert? MWG-Vorstand Dr. Andreas Hartung freut sich besonders über die Veränderungen in der Stadtgesellschaft. Er sagt: „Es ist eine größere Offenheit eingetreten, es hat sich eine Transformation im menschlichen Bereich vollzogen.“ MWG-Vorstand Thomas Fischbeck weiß, dass „die Liebe zur Heimat viele Menschen wieder zurückbringt“. „Im Gepäck haben sie die Erfahrungen, die sie woanders gemacht haben. Das wird uns nachhaltig verändern.“ Dr. Andreas Hartung blickt auf die Infrastruktur. Auf die neuen Elbebrücken, neue Wege, neue Strukturen. „Diese großartigen städtischen Transformationsprozesse waren Initialzündung für unsere gemeinsamen Investitionen in das Domquartier.“ So könnte es gern weitergehen, sind sich alle einig.
Die MWG spricht von einem „deutlichen Imagewechsel“, den die Ottostadt durchlebt hat und weiter durchlebt. Thomas Fischbeck und Dr. Andreas Hartung heben hervor, „dass die Stadt einst sehr verbunden war mit dem Schwermaschinenbau, dann eine Deindustrialisierung erlebte und sich dann komplett neu aufgestellt hat“. „Jetzt sind wir attraktiv und können stolz sein“, so Dr. Andreas Hartung. Beide Vorstände erklären, „große Lust“ zu haben, „die Zukunft mitzugestalten – als Wohnungswirtschaftler und privat als Magdeburger“. Ähnlich sehen es die anderen Beteiligten. WOBAU-Geschäftsführer Peter Lackner sagt: „Die Struktur von Magdeburg war immer schon besonders. Jetzt kommt eine Renaissance. Die Stadt wird neu entdeckt, und die Intel-Ansiedlung wird zudem eine Turbo-Zündung auslösen.“ Zu den wichtigsten Aufgaben seiner Gesellschaft zählt er, „auch weiterhin preiswerten Wohnraum anzubieten“. Ergänzend dazu sagt WBG-Vorständin Karin Grasse: „Genau das wird wieder eine gemeinschaftliche Aufgabe. Wir sitzen alle in einem Boot.“ Und MWG-Vorstand Thomas Fischbeck spricht davon, dass sich die Stadt, das Stadtbild und die Gesellschaft „gewaltig verändert“ hätten. Alle, die damals den einschneidenden Wandel der Magdeburger Innenstadt mitgeprägt haben, stimmen zu, als er sagt: „Magdeburg ist zu einem Kleinod geworden, auf das wir stolz sein können.“
Foto: (c) Stadtmarketing Magdeburg