Wer Holger Platz kennt, weiß, dass er ein leidenschaftlicher Radfahrer ist. Dass er sich nur selten ins Auto setzt, ist für ihn vor allem ein Statement für den Umwelt- und Klimaschutz, sagt er. Im Interview erklärt der Beigeordnete für Umwelt, Personal und Allgemeine Verwaltung, warum es auf die vielen kleinen nachhaltigen Beiträge von jedem Einzelnen ankommt, warum die Ottostadt 2035 tatsächlich fast klimaneutral sein könnte und was die Stadt selbst tut, damit es uns allen wieder mehr grün vor Augen wird.

Wie definieren Sie Nachhaltigkeit?

Holger Platz: Nachhaltigkeit umfasst für mich mehr als den Klima- und Umweltschutz. Was viele vielleicht nicht wissen: Der Begriff ist schon vor 300 Jahren in der Forstwirtschaft entwickelt worden. Er hat nie an Aktualität verloren. Mehr als 250 Jahre später hat eine Kommission der Vereinten Nationen in einem Zukunftsbericht erstmals das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung beschrieben. Und im Jahr 1992 wurde in Rio de Janeiro das globale Aktionsprogramm „Agenda 21“ verabschiedet, mit dem sich die Vereinten Nationen zum Leitbild der nachhaltigen Entwicklung bekannten. Im Kern dreht sich beim Thema Nachhaltigkeit alles darum, künftigen Generationen ein intaktes ökologisches, soziales und ökonomisches Gefüge zu hinterlassen und zugleich die Chancen für alle Menschen fairer zu verteilen.

Wie hat sich Ihrer Meinung nach in jüngster Zeit das Bewusstsein für das Thema entwickelt?

Es ist nicht zu übersehen, dass das Thema an Fahrt aufnimmt, was wichtig und richtig ist. Die Debatte zur Nachhaltigkeit, zum Klima- und Umweltschutz, die Suche nach Lösungen, all das waren früher Randthemen. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Nachhaltigkeit zu einem zentralen Thema geworden, zu einem Schicksalsthema der Menschheit.

Inwieweit kann die Politik die nötigen Veränderungen befördern?

Klar ist: Es geht nicht ohne politische Entscheidungen. Die Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen und damit ein nachhaltiges Verhalten befördern. Die Bundesregierung hat dafür bereits einige Schritte unternommen. Aber es ist noch viel Luft nach oben.

Was kann aus Ihrer Sicht jeder von uns als Verbraucherin und Verbraucher tun, um Umwelt und Klima zu schützen?

Politische Rahmenbedingungen und technische Lösungen sind das eine, aber es ist auch enorm wichtig, dass sich jeder von uns fragt, was er selbst tun kann. Deutlich wird das allein beim Blick auf zwei Zahlen. In Deutschland entfallen 40 Prozent des Kohlendioxid-Ausstoßes auf den privaten Bereich, davon macht die Ernährung allein etwa 15 Prozent aus. Ich denke, dass jeder Mensch seinen Lebensstil und seine Konsumgewohnheiten hinterfragen muss, damit sich noch mehr bewegt. Eine wichtige Rolle könnte für viele Menschen die Veränderungen ihrer Mobilität spielen. Zwei Drittel aller zurückgelegten Strecken sind tägliche, kurze Wege. Um die zurückzulegen, gibt es gute Alternativen zum herkömmlichen Auto. Ich habe festgestellt, dass aktuell eine grundsätzliche Bereitschaft dafür vorhanden ist.

Wie handhaben Sie das selbst mit der täglichen Mobilität?

Ich bin ein leidenschaftlicher Radfahrer. Mit dem Rad zu fahren, macht Spaß und hält fit, ist auch wichtig als Beitrag für den Umweltschutz. Für den Weg zur Arbeit nutze ich meistens das Fahrrad. Privat bin ich zudem auf ein Hybrid-Auto umgestiegen. In der Stadt fahre ich rein elektrisch.

Sollten und könnten noch mehr Magdeburgerinnen und Magdeburger aufs Rad umsteigen?

Unbedingt! Ich beobachte, dass dies auch schon viele getan haben. Die Voraussetzungen für Fahrradfahrer sind in Magdeburg gut. Aber es geht immer noch besser. Darum sieht die Stadt es als ihre Aufgabe an, die Infrastruktur für Radfahrer noch weiter auszubauen und neue Lösungen zu finden. Zu den spannenden künftigen Fragen gehört hierbei, wie man den Autoverkehr zugunsten anderer Mobilitätsformen zurückbinden kann. Aber wie gesagt: Schon jetzt kommt man gut mit dem Fahrrad durch Magdeburg – man muss es nur selbst wollen. Neben dem Radverkehr spielt im Hinblick auf die Nachhaltigkeit auch der Öffentliche Personennahverkehr eine große Rolle in der Stadt.

Ist der Magdeburger ÖPNV dafür gut aufgestellt?

Die Entwicklung des ÖPNV ist in Magdeburg sehr positiv. Gerade in letzter Zeit wurden viele wichtige Entscheidungen getroffen und in die Tat umgesetzt. Ein Beispiel ist die neue Nord-Südverbindung für die Straßenbahn, die zu den wichtigsten Infrastrukturprojekten der Magdeburger Verkehrsbetriebe zählt. Und jüngst wurde ein Vertrag zur Lieferung neuer Straßenbahnen unterschrieben. In der Stadt werden bald moderne Niederflurstraßenbahnen unterwegs sein und den Komfort für die Fahrgäste noch mehr verbessern. Das wiederum könnte mehr Menschen dazu bewegen, auf diese Verkehrsmittel umzusteigen.

Wie sieht es beim Sparen der Ressourcen bei der Stadtverwaltung aus?

Wo es nur geht, wird der Papierverbrauch gedrosselt. An einigen Stellen sind die Abläufe sogar schon komplett digitalisiert. Und wir sind auf recyceltes Papier umgestiegen. Wir legen Wert darauf alle mitzunehmen, es bringt ja nichts, etwas nur anzuordnen. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden zu Nachhaltigkeitsthemen geschult und damit auch für ihr eigenes Verhalten sensibilisiert. Zum Beispiel lässt sich mit dem richtigen Lüftungs- und Heizverhalten erheblich Ressourcen  sparen. Das Umweltamt hat zudem eine Klimarelevanz-Prüfung auf den Weg und in die Verwaltung gebracht. Das ist ein Raster, mit dem alle Entscheidungen auf Nachhaltigkeit hin geprüft werden können, mit dem Dinge hinterfragt werden und mit dem dazu angeregt werden soll, sich mit Alternativen zu befassen. Da sind auch schon einige Vorschläge an uns herangetragen worden – von der Verwendung des richtigen Baumaterials bis zur Einsparung von Kohlendioxid bei kleineren Geräten. Und mit der Fachförderrichtlinie Umwelt fördern wir Projekte wie die Anschaffung von Lastenrädern. Zusammengefasst kann ich sagen: Alle Ämter nehmen das Thema Nachhaltigkeit sehr ernst.

Aktuell beschäftigen wir uns damit, das Fahrrad-Leasing für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzuführen. Unser Ordnungsamt nutzt seine Fahrradstaffel rege. Unseren Auto-Fuhrpark haben wir in der jüngsten Vergangenheit deutlich reduziert, setzen verstärkt auf E-Mobilität. Seit 2004 gibt es bei uns ein Carsharing. Aber wie immer und überall gilt auch hier: Es gibt immer Luft nach oben.

 Was tut die Landeshauptstadt, um die Magdeburgerinnen und Magdeburger für die Nachhaltigkeit weiter zu sensibilisieren?

Wir geben vor allem Hilfe zur Selbsthilfe. Sehr gut frequentiert wird das Klimaschutzportal der Ottostadt Magdeburg. Hier werden aktuelle Meldungen und Termine gebündelt. Nutzerinnen und Nutzer finden praktische Tipps, wie sie ganz einfach umweltgerechter leben können. Wer den „nachhaltigen Warenkorb“ anklickt – erfährt, wie er seinen Konsum umstellen kann, bekommt Hinweise zu regional erzeugten Produkten und zu den Einkaufsmöglichkeiten. Mit dem „ökologischen Rucksack“ kann man auf dem Portal mit ein paar Klicks das eigene Verhalten überprüfen. Informationen gibt es auch zum Ökostrom, der von unseren Stadtwerken angeboten wird.

Und wie kommt die Stadt zum Thema ins Gespräch?

Das passiert an vielen Stellen und zu vielen Anlässen. Vor acht Jahren hat das Umweltamt in Kooperation mit dem Landesbüro Sachsen-Anhalt der Friedrich-Ebert-Stiftung die Reihe „Magdeburger Klimadialog“ ins Leben gerufen. Dabei widmen wir uns jedes Jahr aktuellen klimapolitischen Themen – begleitet von renommierten Expertinnen und Experten aus vielen Bereichen. Das Interesse zeigt uns, dass diese Art des Dialogs sehr gut in der Stadt ankommt. Zudem generieren und prämieren wir seit 2011 alle zwei Jahre mit dem Umweltpreis der Landeshauptstadt Magdeburg Menschen, die sich beim Klima- und Umweltschutz beispielhaft hervortun. Die vergangenen Auszeichnungen haben bewiesen, dass wir damit Projekte und die Menschen, die dahinterstehen, noch bekannter machen und so bewirken können, dass andere ihnen nacheifern. Das halte ich für sehr wichtig, da so Magdeburgerinnen und Magdeburger zum Umdenken gebracht werden können. Etabliert hat sich erfreulicherweise auch das Projekt „Energie wird Natur“, mit dem wir und viele Partnerinnen und Partner Schulen sowie Sportvereinen helfen, Naturprojekte vor Ort zu verwirklichen. Ein weiteres gutes Beispiel ist das Projekt „Fifty/Fifty“-Energiesparen an Magdeburger Schulen. Der Nachwuchs gehört für uns zum wichtigsten Klimabotschafter. An den Schulen legen wir den Grundstein für die Zukunft. Zugleich lernen die Mädchen und Jungen durch umweltfreundliches Verhalten so viel wie möglich Wasser, Wärme und Strom einzusparen.

Magdeburg hat Anfang 2018 den „Masterplan 100 % Klimaschutz“ verabschiedet und sich damit verpflichtet, bis 2050 eine fast klimaneutrale Stadt zu sein, also den Ausstoß von Treibhausgasen um 95 Prozent zu senken und den Energieverbrauch zu halbieren. Die Zielmarke wurde inzwischen auf das Jahr 2035 vorverlegt. Wie weit sind wir auf diesem Weg bereits gekommen?

Aus meiner Sicht ist Magdeburg als Klimaschutz-Master-Kommune bereits weiter als vergleichbare andere deutsche Städte – und das schon seit geraumer Zeit. Nichtsdestotrotz bleibt dieses Ziel eine große Herausforderung.

Hand aufs Herz: Ist das Ziel zu erreichen?

Es ist machbar. Wir können das schaffen. Allerdings muss jeder wissen, dass zur Erreichung des Ziels gravierende Entscheidungen getroffen werden müssen. Dazu gehört der ganze Bereich des Straßenverkehrs, wo viele Schadstoffe ausgestoßen werden. Wenn wir die Herausforderungen als Klimaschutz-Masterplan-Kommune bewältigen wollen, muss hierbei schnell auf deutlich CO2-reduziertes Fahren umgestellt werden. Der ÖPNV und der Radverkehr müssen noch mehr in den Fokus gerückt werden.

„Das Thema Nachhaltigkeit nimmt an Fahrt auf“


Holger Platz

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