Die Arbeitsgruppe „Medizin und Digitalisierung“ der Klinik für Neurologie arbeitet an einer weltweit einzigartigen Datenbasis für die biomedizinische Forschung und Industrie.

Es geht darum, einen riesigen Datenschatz zu heben. Als PD Dr.-Ing. habil. Steffen Oeltze-Jafra vor zwei Jahren gefragt wird, ob er dazu Lust hätte, muss er nicht lange überlegen. Der damalige Leiter einer Nachwuchsforschungsgruppe an der Medizinischen Fakultät Leipzig ist sofort begeistert davon, eine neue Forschungsgruppe in der Elbestadt aufzubauen. Der gebürtige Magdeburger kehrt zurück in seine Heimat und nimmt den roten Faden seines beruflichen Werdegangs wieder auf – bereits beim Computervisualistik-Studium an der hiesigen Otto-von Guericke Universität fasziniert ihn einst besonders die medizinische Visualisierung.

Vor zwei Jahren übernimmt er die Leitung der Arbeitsgruppe „Medizin und Digitalisierung – MedDigit“, die das Ziel verfolgt, eine fortlaufende Registrierung, Analyse und Quantifizierung von Hirnstrukturen und -funktionen aller Patienten*innen mit neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen in Sachsen-Anhalt einzurichten. Bisher ist die Praxis so: Bei Patienten*innen mit Symptomen wird eine Bildgebung des Gehirns vorgenommen, die interpretiert und textlich in einem Brief dargestellt wird, den meist der weiterbehandelnde Arzt oder die Ärztin erhält. Dr.-Ing. habil. Steffen Oeltze-Jafra sagt: „Heutzutage kann man mit diesen Bildern aber noch viel mehr machen, beispielsweise Hirnstrukturen und Pathologien automatisch segmentieren und das Volumen vermessen und vergleichen über die Zeit und über Patienten hinweg und dadurch die Früherkennung, Diagnose und Therapie von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen verbessern.“ Er und seine Gruppe widmen sich darum der Etablierung einer voll automatisierten digitalen Verarbeitung dieser Hirndaten und der Ableitung sogenannter Biomarker – charakteristische biologische Merkmale – für neurologische und psychiatrische Krankheitsbilder. Dafür setzen sie verschiedene Techniken, auch aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz, ein und entwickeln sie weiter. Der Gruppenleiter erklärt: „Ähnlich zu einem Blutbild werden aus quantitativen Bildmerkmalen Brainprints, Abdrücke vom Gehirn, erstellt sowie Algorithmen für den Vergleich und schließlich für die Früherkennung, Diagnose und Therapiefindung entwickelt.“

Initiiert wird das Projekt einst von renommierten Magdeburger Medizinern und Physikern – angetrieben von der Überlegung, dass in der klinischen Routine viele Daten generiert werden, diese aber meist nur einem Menschen in der Behandlung zugutekommen. In Archiven gespeichert, sind sie der Datenschatz, von dem Dr.-Ing. habil. Steffen Oeltze-Jafra spricht. „Wir haben Daten aus den vergangenen zwei Jahrzehnten, mit denen wir Aussagen treffen können über Erkrankungen, die sich über einen längeren Zeitraum manifestieren, wie es oft vorkommt bei neurodegenerativen Erkrankungen.

Im vom Land geförderten Projekt, das nach Ablauf möglichst in eine Verlängerung gehen soll, baut das Team in drei Jahren eine „Datenverarbeitungskette“ an der Klinik für Neurologie auf. Keine leichte Aufgabe, wie der „MedDigit“-Gruppenleiter sagt. Die aktuell sechs wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und 11 Student*innen müssen viele Aspekte berücksichtigen, technische und datenschutzrechtliche. Sie erarbeiten ein Datenschutzkonzept, das landesbehördlich abgesegnet wird. Sie entwickeln in Kooperationen Analysetools und Software, die sie Mediziner*innen zur Verfügung stellen. Nicht nur das trägt dazu bei, dass „MedDigit“ bereits großen Zuspruch erfährt. Daten müssen mit den Lösungen, die hier entwickelt werden, künftig nicht mehr aufwändig manuell für einzelne Patienten ausgewertet, sondern können automatisch für große Patientenkohorten analysiert und die Ergebnisse bereitgestellt werden. Zusätzlich kann die Datenqualität bewertet und verbessert werden. „Wenn es uns gelingt, so eine Datenbank aus Brainprints zu etablieren, wäre das wohl weltweit einmalig“, schätzt Dr.-Ing. habil. Steffen Oeltze-Jafra. Idealerweise würden bald auch weitere Kliniken und externe Praxen ins Projekt integriert. „Wenn man so etwas machen kann, dann hier  in Magdeburg, an der Otto-von-Guericke-Universität, einem weltweit renommierten Neurologie-Standort“, sagt er und freut sich bereits auf eine „weitere große Sache, bei der Magdeburg eine Rolle spielen kann“, und bei der es um die Einrichtung einer Nationalen Forschungsdateninfrastruktur für die Neurowissenschaften gehen soll. „Es ist viel Innovatives in Bewegung“, sagt er. „Und wir sind hier mittendrin.“ 

Klinik für Neurologie – „MedDigit“


PD Dr.-Ing. habil. Steffen Oeltze-Jafra