Regenerative Energien führen zu Schwankungen im Stromnetz. Das Projekt „RELflex“ will die Produktion in Fabriken flexibler machen, um das Netz stabil zu halten.

Strom ist heutzutage nonstop verfügbar, von punktuellen Ausfällen abgesehen. Mit dem Aufbruch ins Zeitalter der erneuerbaren Energien könnte manche Gewissheit jedoch ins Wanken geraten. Kohle-, Gas- und Kernkraftwerke, die bisher die Versorgung stabil halten, werden nach und nach abgeschaltet. Kippt damit die Stromversorgung?

Fakt ist: „Die zwei künftigen Hauptquellen für unsere Energie sind nach Meinung der Wissenschaft Wind und Sonne“, sagt Dr. Pio-Alessandro Lombardi vom Magdeburger Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF. Das Problem: Wind kann eben nicht einfach ein- und ausgeschaltet werden, ebenso wenig wie Sonnenlicht. Wird an windigen oder sonnenklaren Tagen mehr Strom produziert, als genutzt werden kann, sollen die Netzbetreibern den Strom, der von Windturbinen oder von PV-Anlagen erzeugen wird, abregeln
Gefragt sind die besten Lösungen, um das System stabil zu halten. Und damit auch die Kosten für den Ausgleich von Schwankungen, die heute laut Lombardi schon fast in die Milliarden gehen und von den Stromverbrauchern mitbezahlt werden müssen. Doch er hat eine Vision. Der Forscher vom IFF setzt in dem von ihm geleiteten Projekt „RELflex“ in Zusammenarbeit mit der Hochschule Magdeburg-Stendal und weiteren Partnern bei kleinen und mittleren Unternehmen an. Sie sollen als „Net zero energy factories“ ihren Strom selbst produzieren.
„Dazu benötigen wir mehr Flexibilität“, ist der Wissenschaftler überzeugt. Als Referenzobjekt dient den Forschern das Unternehmen „aRTE Möbel“, eine Tischlerei in Magdeburg-Ottersleben. „Dort wurde schon vor etwa zehn Jahren eine große Photovoltaik-Anlage errichtet“, berichtet der Forscher. Bislang wird die gewonnene Energie ins Stromnetz eingespeist. Das Wissenschaftsteam will nun erreichen, dass die Tischlerei in Zukunft den Strom aus PV-Anlagen nicht ins Netz einspeist, sondern selber nutzt. Nebeneffekt: Die Produkte können mit Gewissheit aus ökologisch-nachhaltiger Herstellung vermarktet werden.

Das Unternehmen soll dazu seine Produktionsprozesse ändern, bei Strom-Engpässen auf Energie aus den eigenen Speichern zurückgreifen und eventuell auch andere Energiequellen heranziehen – etwa durch die Verbrennung von eigenen Holzabfällen. „Am effizientesten wäre es, die Produktion anzupassen und Pufferspeicher einzubauen. Man produziert also auf Vorrat, wenn gerade viel Energie zur Verfügung steht, und lagert die produzierten Teile zwischen“, konkretisiert Lombardi.
Die zweite Option wäre, mit den Mitarbeitenden flexible Arbeitszeiten zu vereinbaren. Die Energieverfügbarkeit würde dann vorgeben, wann produziert werden kann – etwa auch zu späterer Stunde oder am Wochenende. Dafür hätten sie dann an anderen Tagen frei. Ein entsprechendes Planungstool für das flexible Arbeitszeitmanagement könnte das Forschungsinstitut gleich mitliefern. Wie groß die Akzeptanz dafür ist, wollen die Forscher in einer Umfrage herausfinden. Als dritte Option kommen Energiespeicher in Frage. Die sind derzeit aufgrund hoher Investitionskosten allerdings noch teuer, und die Energiespeicherung ist noch mit Verlusten verbunden.

Projektleiter Dr. Pio-Alessandro Lombardi ist zuversichtlich, mit einem dynamischen Energiemanagement einen wichtigen Beitrag zur Stromversorgung der Zukunft und damit angesichts des Klimawandels zu einer der drängendsten Fragen unserer Zeit leisten zu können. Das Forschungsumfeld in Magdeburg sieht er ohnehin auf Top-Niveau. Der aus Italien stammende Forscher formuliert den wissenschaftlichen Anspruch der Ottostadt so: „Wir können hier Champions League spielen!“
Er selbst kam über ein europäisches Austauschprogramm aus Apulien eher durch Zufall an die Elbe: „Ich habe Maschinenbau mit der Spezialisierung auf Energietechnik studiert. Ich wollte in Deutschland mehr über regenerative Energien lernen.“
Mit der Stadt habe er jedoch erst warm werden müssen, gibt er zu. „Der Dom und das Umfeld sind sehr, sehr schön. Magdeburg könnte aber den Fluss noch viel stärker einbeziehen“, schätzt Lombardi ein. „Als Fahrradfahrer muss ich sagen, ich fühle mich in Magdeburg viel sicherer als in Italien“, fügt mit einem Schmunzeln hinzu.

Nun will der Fraunhofer-Forscher mit seinem „RELflex“-Projekt und dem dynamischen Energiemanagement dazu beitragen, dass mit Ideen und Know-how aus der Ottostadt die Energiewende nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern europaweit gelingt.

RELflex - Flexibles Energienetzwerk für Magdeburg


Dr. Pio-Alessandro Lombardi