Surgical Audio Guidance – über das “Hören“ am Instrument zur neuen Wahrnehmung in der minimalinvasiven Chirurgie

Eine neue Wahrnehmung in der minimalinvasiven Chirurgie schaffen – dieses Ziel haben sich vier Wissenschaftler der Forschungsgruppe INKA an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität gesetzt. In der Medizintechnik gehen Dr. Alfredo Illanes, Nazila Esmaeili, Moritz Spiller und Thomas Sühn innovative, neue Wege. In Magdeburg entwickeln sie gemeinsam das System Surgical Audio Guidance – SURAG. Als audio-basierte Navigations- und Feedback Lösung für chirurgische Instrumente hilft SURAG Chirurginnen und Chirurgen minimalinvasive Operationen genauer, sicherer und effizienter durchzuführen.

Bei minimalinvasiven Eingriffen, umgangssprachlich auch Schlüssellochchirurgie genannt, werden die Instrumente durch wenige Millimeter große Einschnitte in den Bauchraum des Patienten eingeführt. Hierbei ist jedoch der Tast- und Orientierungssinn des Chirurgen stark eingeschränkt. SURAG lauscht/horcht mittels spezieller Audio-Sensoren an den medizinischen Instrumenten und kann so wichtige Informationen für deren Positionierung liefern. Beispielsweise können so tieferliegende oder verborgene Blutgefäße im Bauchraum erkannt werden.Die Besonderheit von SURAG ist, dass die Sensorik dafür am Ende des Instruments außerhalb des Patienten angebracht wird, was erhebliche Vorteile hinsichtlich der Sterilität der Sensorik mit sich bringt.

„Man muss sich das vorstellen wie ein Stethoskop, mit dem man unterschiedliche Vibrationen am Instrument misst. So können beispielsweise verschiedene Gewebearten oder Übergänge besser unterschieden und präziser gearbeitet werden“, sagt Moritz Spiller. Anwendbar ist das Verfahren auf eine Vielzahl chirurgischer Eingriffe und Instrumente. Da das Gerät simpel an den bereits vorhandenen Instrumenten angebracht wird, erhalten Chirurgen zusätzliche, wichtige Informationen über das Gewebe und die Operation, ohne dabei ihre gewohnten Arbeitsabläufe ändern zu müssen. Um das zu gewährleisten und genau das richtige Feedback zu liefern, wird SURAG in enger Zusammenarbeit mit Ärzten verschiedener Fachrichtungen entwickelt. Neben der Zusammenarbeit mit den Medizinern am Universitätsklinikum Magdeburg A.ö.R. finden sich dabei auch Partner über die Grenzen von Magdeburg hinaus, z.B. am Klinikum rechts der Isar der TU München oder dem Universitätsklinikum Ulm.

SURAG soll in Zukunft auch für den Einsatz mit dem da Vinci® System für die roboter-assistierte Chirurgie System entwickelt werden, welches auch hier in Magdeburg eingesetzt wird. „Wenn der Chirurg mit dem da Vinci operiert, steht er nicht mehr direkt am Patienten, sondern sitzt abseits an einer Konsole. Dadurch fallen die haptischen Eindrücke bzw. der Tastsinn ganz weg. Der Chirurg kann so nicht fühlen, wo sich ein Blutgefäß befindet und braucht zusätzliche Informationen. SURAG kann dabei unterstützen und dem Chirurgen genau sagen, wo er schneiden kann und wo besser nicht, auch ohne, dass er die Hand im Bauch des Patienten hat.“, sagt Thomas Sühn. Und Dr. Alfredo Illanes schwärmt: „Es ist erstaunlich, wie viele Informationen man einem Gewebe entlocken kann, einfach indem man die Vibrationen am Instrument abhört“. Dabei sei die Idee so einfach und doch hilfreich, weil sie nicht invasiv, vielseitig einsetzbar und intuitiv zu verwenden ist.

Nazila Esmaeili kümmert sich um die Signalverarbeitung und sorgt dafür, dass die erfassten Signale in Echtzeit ausgewertet werden. „Das ist das Herzstück unseres Systems und eine große Herausforderung.“, fügt sie hinzu. Dennoch sind in der nahen Zukunft noch viele weitere Anwendungen in der Chirurgie, aber auch in anderen klinischen Fachbereichen, denkbar.

Das Team von SURAG wird nun für zwei Jahre durch das Programm „EXIST – Existenzgründungen aus der Wissenschaft“ (Programmlinie EXIST-Forschungstransfer) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie und der Europäischen Union gefördert. In dieser Zeit soll ein funktioneller, klinischer Prototyp entstehen, ein Businessplan erarbeitet und ein Unternehmen gegründet werden. Ein Patent wurde bereits angemeldet. Die Wissenschaftler wollen ihre Idee in etwa vier Jahren auf den Markt bringen. „Davor stehen aber noch die klinische Bewertung und die Zertifizierung an, nicht nur für das System als solches, sondern auch für das Unternehmen. Es wartet also noch einiges an Arbeit auf uns“, so Sühn.

Die Mitglieder des Teams stammen aus Chile, Deutschland und dem Iran. Magdeburg sehen sie als innovativen Standort für die Medizintechnik. Besonders reizvoll finden die vier SURAG-Teammitglieder die anwendungsorientierte Forschung, die Hand in Hand mit den Ärzten vor Ort sowie im ganzen Bundesgebiet sehr gut funktioniert. Magdeburg sei ein schlafender Riese in Sachen Innovation. „Alles ist nah beieinander. Es gibt viel Raum und auch Unternehmen, die zertifizierte Medizinprodukte-Hersteller sind. Da haben wir auch schon Kontakte knüpfen können. Auch wenn das Potenzial noch nicht immer abgerufen wird, Infrastruktur, Ideen und Menschen für ganz viel Innovation sind da“, sagt Dr. Illanes.

Foto: © SURAG

SURAG - Surgical Audio Guidance


Dr. Alfredo Illanes, Nazila Esmaeili, Moritz Spiller, Thomas Sühn