Frage: Wie hat sich die Bedeutung der Frauen in der Gesellschaft über die Jahrhunderte entwickelt? Es herrscht immer noch das Bild, dass Frauen sich um Familie und Kinder kümmern und nur nebenbei arbeiten. Ist das so?

Prof. Dr. Labouvie: Wir haben in der Geschichte - auch hier in Magdeburg - viele sehr starke Frauen, Persönlichkeiten, die herrschend tätig waren, die als Äbtissinnen, als Kaiserinnen, als Königinnen agiert haben. Ein Vorurteil ist, anzunehmen, dass Frauen immer schon „nur" für Familie und Kinder zuständig waren, das ist eine Entwicklung der letzten 200 Jahre. Frauen waren vorher in allen Branchen tätig, auch in Zünften - es gab extra Frauenzünfte. Das änderte sich mit der Französischen Revolution und den neuen Gesetzgebungen. Der Mann ist Alleinverdiener, der Mann geht nach außen, vertritt öffentlich; die Frau ist zuhause, erzieht die Kinder, sorgt für das Heim, ist gute Ehefrau und Gattin, repräsentiert nach außen. Eine ganz junge Entwicklung, die nur im gehobenen Bürgertum praktiziert werden konnte. Im Verlaufe des 20. Jahrhunderts adaptieren die anderen sozialen Schichten und Milieus genau dieses Modell, was eigentlich ein bürgerliches ist und bis heute zum Teil noch immer gilt.

Frage: In Deutschland sind Frauen in Teilen der Gesellschaft noch unterrepräsentiert. Wie erklären Sie sich das?

Prof. Dr. Labouvie: Das hängt mit der Entwicklung nach 1945 zusammen. Das Angebot von Kitas und Kinderbetreuung, Teilzeitarbeit usw., diese Themen sind heute erst in Deutschland richtig präsent, diese Themen sind in Frankreich, in nordeuropäischen Ländern schon seit mehr als 20 Jahren geregelt. Der Status, erwerbstätig zu sein, ist in diesen Ländern ganz normal, während wir hier noch mit Vorurteilen zu kämpfen haben - Stichwort Rabenmutter, Stichwort Vernachlässigung der Familien, wenn eine Frau arbeitet und Kinder hat.

Frage: Magdeburg gilt bundesweit als Spitzenreiter in Sachen Kinderbetreuung. Das sind gute Voraussetzungen für Frauen, die Beruf und Familie verbinden wollen. Wie empfinden Sie die Situation hier in Magdeburg?

Prof. Dr. Labouvie: Ich bin nicht nur Frau in der Wissenschaft, sondern auch allein erziehende Mutter, deshalb weiß ich auch, was es bedeutet, von Doppelbelastung zu sprechen und über die Schwierigkeit, in einem alten Bundesland einen Krippenplatz zu bekommen und welche Entbehrungen, welche Zusatzbelastungen damit verbunden sind. Das Thema „Frauen" ist in Magdeburg ein ganz präsentes. Es gibt hier den politischen runden Tisch der Frauen, es gibt die Einführung des Gender Mainstreaming-Konzepts in der öffentlichen Verwaltung, es gibt viele Anlaufstellen, die Beratung und Hilfestellungen bieten. Das hier soviel zusammen kommt, das ist einmalig. Das war auch für mich ausschlaggebend, hierher zu kommen und hier eine Alleinstellungsprofessur auszuüben, denn die Vernetzungsmöglichkeiten müssen dafür gegeben sein.

Frage: Es gab eine Generation von Frauen, die gekämpft und Türen für die folgende Generation geöffnet hat. Es gibt mehr Chancen als noch vor 10 Jahren - wir haben heute eine Bundeskanzlerin. Frauen sind im Kommen, es geht vorwärts, Frauen können leichter bestimmte Positionen ergreifen. Wo geht die Entwicklung hin?

Prof. Dr. Labouvie: Was ganz klar ist, dass Politik und Wirtschaft den Faktor Frau erkannt haben, dass es nicht mehr ohne die Frauen gehen kann, dass die wirtschaftliche Stellung in der globalisierten Welt, ohne die Mithilfe der Frauen, ohne die Arbeit, ohne das Knowhow, ohne die geistigen Innovationen von Frauen, nicht mehr machbar ist. Was sich die deutsche Wirtschaft und Politik über Jahrzehnte erlaubt hat, ist nicht mehr drin; auf die Frauen ist man angewiesen. Frauen werden künftig eine immer größere Rolle in der Gesellschaft spielen.

Frage: Sie haben unsere Kampagne verfolgt, halten Sie solche Initiativen für sinnvoll?

Prof. Dr. Labouvie: Ich finde solche Aktionen sehr gut, sehr spannend, sehr nützlich auf verschiedensten Ebenen. Es ist gute Aufklärungsarbeit, das überhaupt einmal gesagt wird, wer ist hier präsent, wer engagiert sich für Magdeburg. So wird auch den Frauen ihr Anteil am Gesamten zurückgegeben, sie als aktive Mitglieder von Gemeinschaft und als Gestalter von kommunalen Zusammenleben gezeigt und die Entwicklung auch der Rolle der Frau für die Gesellschaft präsent gemacht. So wird gezeigt, hier gibt es starke Frauen, die beteiligt sind an der Wirtschaft, der Politik und der Kultur der Landeshauptstadt, die etwas bewirken in diesen Bereichen. Da ist es selbstverständlich, als Stadt das zu zeigen und in die Öffentlichkeit zu bringen. Dadurch wird auch das Selbstbewusstsein und die Identifikation der Frauen mit dieser Stadt gestärkt, eine Stadt, die auf die Frauen Bezug nimmt, die sie berücksichtigt, präsentiert und repräsentiert.

Interview mit Prof. Dr. Eva Labouvie


Professorin für Geschichte der Neuzeit mit Schwerpunkt Geschlechterforschung am Institut für Geschichte der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg, stellvertretender Vorsitzender des Arbeitskreises für historische Frauen- und Geschlechterforschung in Deutschland.